Liebe Wedelerinnen und Wedeler,
nach Wochen des Wahlkampfes für die Europawahl 2019 ist jetzt eigentlich die Zeit, um durchzuatmen und sich für diejenigen zu freuen, die von uns in das Europäische Parlament einziehen. Aber derzeit überwiegt noch der Ärger über das Wahlergebnis. Denn: Dieses Wahlergebnis war ein Schlag in die Magengrube mit Ankündigung.
Seit Monaten waren wir als CDU in der Defensive. Klimawandel und Nachhaltigkeit waren schon vor Monaten gesetzte Themen für die Europawahl. Hier im Norden, zwischen den Meeren, vielleicht sogar noch stärker als andernorts. Die CDU hat und kann grundsätzlich vernünftige, innovative und klare Antworten auf diese Herausforderungen geben. Nichts ist konservativer als Klimaschutz und Nachhaltigkeit! Denn ein verantwortungsvoller Umgang heute – ökologisch, sozial und ökonomisch – bildet die Grundlage für die nächste Generation. Aber wo waren unsere Stimmen auf Plakaten, im Fernsehen, in den sozialen Netzwerken oder auf den Straßen?
Nun kann man sagen: Wenn wir außer Klimapolitik keine Probleme haben, hat die Politik in der Vergangenheit einen super Job gemacht. Und genau DAS trifft nicht den Kern!
JUNGE MENSCHEN SIND NICHT LÄNGER UNPOLITISCH
Eine ganze Generation ist bereit für Klimaschutz und Nachhaltigkeit auf die Straße zu gehen. Eine Generation, der sonst politisches Desinteresse und mangelndes politisches Wissen vorgeworfen wird. Aber genau diese jungen Menschen haben sich jetzt entschieden, politisch zu werden und ihre Zukunft selbst in die Hand zu nehmen! – Ganz egal, ob das nun anderen passt oder nicht.
Hinzu kamen unsere Position und Kommunikation zu Artikel 13 des EU-Urheberrechts. Hier haben wir die jungen Generationen zusätzlich gegen uns aufgebracht.
Zum Hintergrund: Artikel 13 ist nun in Artikel 17 zusammengefasst und beschäftigt sich damit, dass Online-Plattformen, wie YouTube, Instagram oder Facebook Gebühren an Künstler und andere Rechteinhaber zahlen müssen, wenn sie deren Musiktitel oder Videos verbreiten. Um dies zu überblicken, müssen den Anbietern zufolge umstrittene Upload-Filter eingesetzt werden, die prüfen, ob es zu Verstößen kommt. Diese Filter arbeiten aber nicht 100-prozentig genau, sodass es unter Umständen dazu kommen kann, dass Beiträge nicht auf diese Plattformen geladen werden. Dies empfinden viele Menschen als Zensur.
Dann folgte das Tauerspiel rundum unsere Reaktion auf das „Rezo-Video“. Rezo-Video? Ja, genau. Ein junger Mann, der kurz vorm Wahlsonntag ein Video aufnahm, Klimaschutz anmahnte und aufrief, nicht CDU, AfD oder die SPD zu wählen. Das Video wurde fast 14 Millionen Mal angeschaut.
Zunächst kündigte das Konrad-Adenauer-Haus in Berlin ein Gegenvideo an, dieses kam dann aber nicht – stattdessen nur Schweigen und Ratlosigkeit. Dann wurde nach einer gefühlten Ewigkeit eine 11-seitige Hausarbeit im Internet veröffentlicht, die nun die Antwort auf dieses Video sein sollte.
Dazu fällt mir ein: Willkommen im Jahr 2019, liebe CDU! Unsere Generation kommuniziert digital.
Aber damit noch nicht genug: Das Ergebnis der Wahl zum Europäischen Parlament hat all die oben genannten Punkte bestätigt. Wir haben bundesweit jeden fünften Wähler eingebüßt. Hinzu kommt, dass wir nur 11 Prozent der jungen Menschen erreichen konnten. In den östlichen Bundesländern konkurriert die AfD mit der CDU um den Platz als stärkste Partei.
Anstatt das spätestens jetzt ein „Wir haben verstanden“ aus Berlin kommt, höre ich mit ungläubigem Kopfschütteln, wie unsere Parteivorsitzende sagt: „Wir haben unser Wahlziel erreicht.“ Kurz darauf wird eine Schuldzuweisung veröffentlicht, die einer „Werte-Union“, eine kleine, sehr konservative Gruppierung innerhalb der CDU, die Schuld an diesem Wahlergebnis gibt sowie der Jungen Union Deutschlands.
Kurz zur Erinnerung: Die Mitglieder der Jungen Union sind diejenigen, die vielerorts mit die meiste Wahlkampfunterstützung leisten. Man findet sie an den Canvassing-Ständen, im Tür-zu-Tür-Wahlkampf oder bei besonderen Aktionen rundum die Wählergewinnung.
Nun folgte am Montag nach der Wahl noch ein Aufruf aus Berlin, man müsse irgendwelche Regelungen für Meinungsäußerungen im Internet vor den Wahlen finden. Was immer das bedeuten mag – in meinen Augen ist es ein Affront gegen die freie Meinungsäußerung und ein weiteres Argument für die junge Generation, dass die CDU nichts verstanden hat.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Jetzt den Rücktritt von Herrn A oder Frau B zu fordern, brächte Schlagzeilen, aber keine Lösungen. Das hat die ehemalige Volkspartei SPD unter Beweis gestellt.
WAS WIR ALS CDU JETZT TUN MÜSSEN
Aber eins ist vollkommen klar: Wir müssen uns ändern. Wir alle in der CDU und wir müssen jünger werden, sonst stirbt auch noch die letzte verbliebene Volkspartei endgültig aus!
Es geht hier um existenzielle Fragen für die CDU. Wir müssen ermitteln, wie wir gesellschaftliche Gruppen, zu denen wir offensichtlich den Kontakt verloren haben, ansprechen, ohne traditionelle Wähler, Themen, Ziele und unsere Identität zu verlieren. Ich bin der Überzeugung, dass dies nur mit einer noch größeren innerparteilichen Offenheit zu erreichen ist. Wir müssen junge Themen und Menschen integrieren und nicht ausgrenzen!
Wir wollen nicht irgendwelchen Modeerscheinungen nachlaufen, um hipp zu sein. Wir wollen junge Menschen und ihre Anliegen ernst nehmen, damit auch diese Generation ihren Platz unter dem Dach der CDU findet! Wir wollen nicht – wie die Grünen – die Partei einer besserverdienenden städtischen Elite werden. Wir wollen auch weiterhin die Interessen aller und vor allem der arbeitenden Bevölkerung vertreten.
Das schließt sich nicht gegenseitig aus!
Offenheit bedeutet, die Sorgen und Interessen möglichst vieler Menschen wahrzunehmen und realistische Lösungen anzubieten. Alle Menschen möchten wahrgenommen werden und verdienen dies auch. Dies sollten Politiker immer beherzigen. Medien aber auch.
GRÜNE TREFFEN DEN ZEITGEIST
Die CDU hat ihre historische Rolle als verschiedenste Gruppen und Generationen der Bevölkerung integrierende Partei derzeit verloren und ist – überspitzt formuliert - zu einer westlich-ländlichen Partei mit einer überalterten Wähler- und Mitgliederstruktur geworden – Schleswig Holstein nach dem Ergebnis zur Europawahl mal ausgenommen.
Die Grünen hingegen haben sich von einer Ein-Thema-Partei von seltsamen Ökofreaks zu einem Vollsortimenter gewandelt, der mit traumhafter Sicherheit das Lebensgefühl der gebildeten und eher gut verdienenden Städter und Jugendlichen in der westlichen Hälfte unseres Landes trifft. Das haben wir auch bei uns in Wedel zu spüren bekommen.
Robert Habeck, Annalena Baerbock und Luisa Neubauer treffen derzeit den Nerv der Zeit – ob man sie nun für politisch begabt hält, oder nicht. Sie treffen mit ihrem Sprachstil, ihrem Habitus das Lebensgefühl ihrer Zielgruppe ziemlich genau. Lernen wir ein bisschen von Ihnen! Werden wir in der CDU lebendig und streichen jene Sprache innerhalb der CDU, die außerhalb des Regierungsviertels von Berlin nicht verstanden wird.
Und eins ist natürlich auch klar: Wir als CDU bewegen auch etwas. Nicht immer, auch nicht immer schnell genug. Demokratie ist leider oft mühsam. Ich bin auch dafür, den Anteil Erneuerbarer Energien zu erhöhen. Aber haben nicht die Anrainer von Stromtrassen auch Rechte? Soll für sie im Interesse der Sache kein Rechtsschutz gegeben sein? Können uns die Menschen, die neben Windkraftanlagen wohnen egal sein? Hätten wir die Atomkraftwerke am Netz lassen und stattdessen Kohlekraftwerke abstellen sollen, um den Kohlendioxidausstoß zu vermindern? Das sind alles schwierige Abwägungen. Das müssen wir aber den Jugendlichen, die freitags für unser Klima demonstrieren, auch erklären. Herablassung ist da kontraproduktiv.
DIE CDU KANN STRÖMUNGEN ZUSAMMENFÜHREN
Die Welt verändert sich und die Gesellschaft mit ihr. Täglich und viel schneller als früher. Niemand würde heute einen VW-Käfer kaufen, wenn es für dasselbe Geld auch ein Auto mit Servolenkung, Audiosystem und Navi gäbe. Das ist mit politischen Programmen nicht viel anders. Wer sich nicht anpasst, verliert am Ende – wie z.B. die SPD.
Deshalb muss die CDU nicht gleich zu einer kommunistischen Partei mutieren. Zeitgemäß ist nicht links und links war noch nie zeitgemäß. Dies gilt natürlich auch umgekehrt.
Besinnen wir uns also wieder auf das, was wir können: verschiedene Meinungen und Richtungen, sowie Angehörige verschiedener Generationen und gesellschaftlicher Schichten unter dem Dach unserer gemeinsamen Werte in einer großen und handlungsfähigen Partei zu integrieren. Im Interesse der Parlamentarischen Demokratie, im Interesse unseres Landes und für unser Schleswig-Holstein!
Ihre Vivien Claussen
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